Reden
Sibylla Weisweiler. „Grömitzer Welle“
Haus der Begegnung, Fürstenbrunner Weg 10-12, 14059 Berlin, Eröffnungsrede, 22. September 2006.
„Des Menschen Seele gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.
[…]
Seele des Menschen, wie gleichst Du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst Du dem Wind.“1
In seinem Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“ (1779) verknüpft Johann Wolfgang von Goethe das Sein des Menschen auf eindrucksvolle Weise mit dem Kreislauf des Wassers: Das Wasser wird zur Metapher der Seele. Die durchsichtige Substanz, die allein drei Aggregatzustände kennt, fasziniert Dichter, Komponisten und Künstler jedoch nicht erst seit dem 18. Jahrhundert. Die Darstellung von Wasser in Form von Flusslandschaften, Meeren, Seen, Häfen und Schiffen verbildlicht in Strand- oder Fischerszenen, waren zentrale Motive sowohl für Künstler des Goldenen Zeitalters als auch für Künstler der Romantik oder später der Symbolisten und Impressionisten. Die Materie Wasser fasziniert Künstler und Künstlerinnen bis heute:
Unter dem Titel „Grömitzer Welle“ zeigt Sibylla Weisweiler hier im „Haus der Begegnung“ von Ahorn-Grieneisen eine Reihe ausdrucksvoller Wasserbilder, welche die Magie und Symbolkraft des Wassers offenbaren. Während eines Arbeitsstipendiums in dem berühmten Benediktinerkloster Cismar (gegründet 1245) entdeckte die Künstlerin das Wasser als Motiv für ihre Malerei. Cismar liegt in direkter Nachbarschaft zu Grömitz, einem der ältesten Seebäder an der Ostsee, am Nordrand der Lübecker Bucht. (Seebad seit 1813) Charakteristisch für Grömitz ist die Seebrücke – mit fast 400 Metern eine der längsten Deutschlands. Derartige Seebrücken, Stege – die ins Meer führen – bieten zum einen die seltene und wunderbare Gelegenheit – bildlich gesprochen – auf dem Wasser zu wandeln, zum anderen bieten sie einzigartige AufSichten und EinSichten. Von diesen Möglichkeiten fühlte sich Sibylla Weisweiler – wie sie selbst sagt – geradezu magisch angezogen.
Ihre schillernden Spiegelungen, Reflexionen, ihre Einblicke in die Welt unter der Wasseroberfläche machen den Zauber, der vom Wasser und seinen Lebewesen ausgeht, sichtbar: Ihre Bilder haben eine starke Anziehungskraft, wecken Erinnerungen, Sehnsüchte, und sie lassen dem Betrachter Spielraum für die eigene Phantasie. Viele von uns zieht es immer wieder ans Wasser, an Flüsse, Seen oder ans Meer: Am Wasser kann man zur Ruhe kommen – und wie man so schön sagt – die Seele baumeln lassen. (…)
1 Zitat aus Johann Wolfgang von Goethe, „Gesang der Geister über den Wassern“, Strophen 1 + 6, in: Goethe, J. W. von: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Münchner Ausgabe, Bd. 1.2. (hrsg. Von Hartmut Reinhardt), München – Wien, 1987, S. 48-49.