Reden

Volltreffer. Bilder, Skulpturen und Objekte über Fußball“
Gehag Forum, Mecklenburgische Straße 57,
14197 Berlin-Wilmersdorf, 25. April 2006.

Liebe Fußballfreunde, Fußballskeptiker, Fußballgegner!1

Ich möchte Sie sehr herzlich willkommen heißen zu einer Ausstellung, die einmal mehr deutlich macht, dass die bevorstehende Fußball Weltmeisterschaft in Deutschland nicht nur die Sportwelt, sondern auch die Kunstwelt erfasst hat: Fußball ist ein Massenphänomen und ein Kulturphänomen.2 (…) In dieser Ausstellung kommt einiges zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammenzugehören scheint: Kunst & Sport, Frauen & Fußball: Fußball als Gegenstand von Kunst und Kultur ist keineswegs neu und hat selbstredend anlässlich der diesjährigen Fußball WM in Deutschland Hochkonjunktur. Die Kombination von Kunst & Sport, und damit von Fußball & Kunst hat Tradition. Es waren zuallererst renommierte Künstler und Karikaturisten, die lange bevor es Fernsehbilder gab, das Fußballspiel beispielsweise mittels Holzstich abbildeten. Die Anfänge der Verbindung von Kunst und modernem Sport liegen im frühen 18. Jahrhundert im Mutterland des Sports, in England. Von hier aus setzte endgültig in den 1870er Jahren der weltweite Siegeszug des Fußballspiels ein. In Deutschland wurde dieser Sport von dem Stuttgarter Turnlehrer Karl Planck noch 1898 als „Fußlümmelei“, „Strauchballspiel“ und „englische Krankheit“ geschmäht.3 Heute ist Fußball längst bedeutender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kulturfaktor.

Fussball Fussball 

Dass berühmte Männer der Kunstgeschichte wie Henri Rousseau (1844-1912), Robert Delaunay (1885-1941), Umberto Boccioni (1882-1916) und später nicht weniger berühmte Zeitgenossen wie Andy Warhol (1928-1987) oder Markus Lüpertz (*1941) das Fußballspiel und seine Stars als Sujet entdecken, verwundert auf den ersten Blick nicht, war und ist doch der Fußball – trotz der Erfolge, die seit geraumer Zeit Frauen in diesem Sport erzielen – immer noch ein Männersport. Folgt man massenmedialer Berichterstattung, sollen wir alle zu der Überzeugung gebracht werden, dass der wahre Fußballfan vor allem Biertrinker und damit männlichen Geschlechts ist. Bier trinken natürlich nur echte Kerle – solche wie der Schalke-Manager Rudi Assauer: Ein Macho, der angesichts eines kühlen Biers jederzeit den Reizen seiner Frau widersteht. Frauen spielen im Fußball und seiner medialen Vermarktung eine Nebenrolle, egal ob die deutschen Fußballfrauen den WM-Titel erkämpfen oder die samstägliche Sportschau inzwischen wieder sehr erfolgreich von einer Frau moderiert wird. Umso bemerkenswerter, dass in dieser Ausstellung sieben Künstlerinnen vertreten sind, die sich mit dem runden Leder und seinen Helden beschäftigen; zählt man die Kuratorin und meine Wenigkeit noch dazu stellen wir mehr als die Hälfte – „Volltreffer“. (...) Selbstredend ist die Motivation der Künstlerinnen und Künstler, sich mit dem Fußball, seinen Protagonisten und Schauplätzen zu beschäftigen so individuell verschieden wie ihre Werke: Fußball ist faszinierend, seine Sprache ist weltumspannend: Helga Lang, die in Hamburg lebt und arbeitet, präsentiert mit ihren insgesamt 7 üppigen Frauengestalten, die sich – metaphorisch gesprochen – um einen leuchtend blauen Ball – „Planet Fußball“ – drehen, eine eigenwillige und inspirierende Kombination. Bei den Gipsfiguren handelt es sich – wie Sie vielleicht wissen – um Nachbildungen der berühmten Venus von Willendorf, einer Vollplastik aus Kalkstein, die im Original nur 11 cm misst und etwa 25.000 Jahre alt ist. Eine Fruchtbarkeitsgöttin wird zur Fußballgöttin: Anstoß! (…) Das Fußballfeld ist Schauplatz elementarer Emotionen: Wer nicht im Stadion ist, fiebert am Radio- und Fernsehgerät mit: Samstagnachmittag – Bundesligakonferenz – im heimischen Stadion herrscht Ausnahmezustand – Gefühlswallungen, die von völliger Niedergeschlagenheit bis zur grenzenlosen Begeisterung reichen – das sind meine Kindheitserinnerungen. Sibylla Weisweiler, in ihrer Jugend glühende Günter Netzer Verehrerin, setzt sich seit den 80er Jahren künstlerisch immer wieder mit dem Fußball auseinander. Und das nicht von ungefähr, als Großnichte des erfolgreichen Fußballtrainers Hennes Weisweiler hat dieser Sport sie von Kindesbeinen an geprägt. In ihrer aktuellen Serie (Acrylfarbe auf Papier) agiert sie selbst als Ballistin: Stilecht im Trikot – sie trägt natürlich die 10 – kickt sie den Ball gekonnt zwischen Bügelbrett und Schlafstatt hin und her, mimt Heldenposen und entlarvt typisch männliche Gesten. (…)

1 Paraphrase der Begrüßungsformel des Lyrikers, Kabarettisten und Boxsportliebhabers Werner Schneyder (*1937): „Liebe Boxfreunde, Boxskeptiker, Boxgegner.“

2 Markwart Herzog (Hrsg.): Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kult – Kommerz, Stuttgart 2002.

3 Karl Planck: Fußlümmelei. Über Strauchballspiel und englische Krankheit, Stuttgart 11898; Neu aufgelegt in der Reihe: Geschichte des Fußballs, Bd. 2, Münster 1982.