Reden

Gerald Matzner
Fünfzig Jahre Skulptur. Licht und Schatten.
Installationen – Zeichnungen – Fotografien
Weekend Gallery, Schlossstraße 62, Berlin-Charlottenburg
Einführung, 16. Mai 2008

„Darf ich Ihre Nase abformen?“ Diese Frage traf mich damals recht unvermittelt als ich Gerald Matzner in seinem Atelier besuchte, um mich für meine Kunst-Tour in den Weddinger Gerichtshöfen vorzubereiten. Was soll ich sagen? Ich sagte ja und fand mich auf einem Hocker wieder mit einem Handtuch um den Hals. Und dann tauchte der Künstler meine Nase mit Hilfe eines Pinsels in einen Gipsmantel, immer wieder prüfte er dessen Konsistenz und nach wenigen Minuten hielt er den Abdruck meiner Nase in der Hand - und wenn ich mich recht erinnere, erhielt meine Nase eine Nummer und der Künstler trug meine Adresse in ein eigens für Nasenabgüsse vorgesehenes Büchlein ein. Für mich war das ein wundervolles Erlebnis und ein herrlich skurriles dazu!

Liebe Gäste!

Es ist mir eine Freude und eine Ehre, Ihnen heute Abend Gerald Matzner und seine phantastische Bildhauerkunst vorstellen zu dürfen.
Den Kennern ist die Welt Matzners wohl bekannt: Wer sein Atelier im Dachstuhl der Weddinger Gerichtshöfe erklimmt, begibt sich auf die Reise in eine andere Welt – eine die fremd und zugleich vertraut ist.
Matzners Kosmos birgt unzählige Gegenstände: Schauen Sie sich um! Objekte, wie Koffer, Taschen, Kanister, Fässer, Eimer, Vasen, Hand-Waschbecken, Glühbirnen und vieles mehr: Dinge, die wir aus unserem Leben kennen – allerdings - mit dem feinen Unterschied, dass es sich bei diesen um Plastiken aus Ton handelt.
Das, was diese Welt so einzigartig, so märchenhaft und so irritierend zugleich macht sind die Neuschöpfungen, die der Künstler ersinnt, und die in der Vielgestaltigkeit seiner Objekt-Verbindungen liegen. Sehen wir altbekanntes Neu (Wie?) oder sehen wir etwas ganz Neues (Was)?
In diesem Jahr 2008 betreibt der Künstler 50 Jahre Bildhauerei! Das ist Anlass genug für eine Retrospektive.
Die Skulpturen, die der Künstler in diesen Kabinetten arrangiert hat, zeigen nur einen Ausschnitt seines opulenten Werkes. Ein Werk das seine Spannung aus Gegensätzen wie Licht und Schatten, Oberfläche und Tiefe oder Positiv und Negativform bezieht.

Matzner arbeitete früh figürlich, nämlich während seiner Anfänge als „Holzbildhauer“ an der „Fachschule für Holzbildhauerei in Hallstadt“ (Oberösterreich). Gleich im ersten Kabinett sehen Sie ein Bein, das einer Madonna als Sockel dient: hier verschmelzen gewissermaßen 50 Jahre bildhauerischen Schaffens.
In den 60er und 70er Jahren bildete er abstrakt und in Stein, dabei entdeckte er für sich Hohlräume. Etwa ab Mitte der 70er Jahre wandte er sich wieder dem Figürlichen zu; unter anderem über das Abformen von Taschen und Koffern. So blieb er bei den Hohlräumen. Seitdem gestaltet der Künstler alles was er findet und erfindet in Ton: einem der ältesten Werkstoffe der Kulturgeschichte.
Dass der Bildhauer wirklich alles abformt, was ihm in die Finger gerät, zeigt sehr schön die kleine Vanitas-Darstellung in rot-braunem Ton im Kabinett nebenan. Matzner fand einmal einen toten Frosch nahm ihn mit, formte ihn so ab wie er ihn vorgefunden hatte und verewigte ihn auf einem kleinen Tuch. Memento Mori! „Gedenke, dass Du sterben musst.“

Seit 1969 lebt und arbeitet der Bildhauer in Berlin: Seine Welt hat er inzwischen bis nach Griechenland ausgedehnt. Seit einigen Jahren pendelt er zwischen Berlin und Korfu. Durch seinen Garten auf Korfu soll bald der „Styx“ fließen, der Fluss, der in der griechischen Mythologie die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich darstellt. Die Seelen der Toten werden von einem Fährmann über diesen Fluss geschifft und den Eingang zum Hades hat der Künstler uns mitgebracht! Diesen Eingang zum Totenreich sehen Sie im ersten Kabinett, platziert auf einer Kochmaschine…
Eine Wanne, in der ein Krokodil, ein Flusspferd und eine kleine Figur zu sehen sind, wird zum „Blauen Nil“ und damit zu einer Erinnerung mit Ewigkeitswert des Künstlers an seine Reise nach Äthiopien (1964). Dass diese Reise zu einem wirklichen Abenteuer mit glücklichem Ausgang wurde, lässt sich anhand der Details nachvollziehen…

In Matzners Welt voller Wunder und Dämonen wimmelt es nur so von Getier wie Fröschen, Echsen und Ameisen. Als Ornamente zum Beispiel auf den kleinen Reliefs nebenan zu sehen. Man begegnet natürlich auch Fabel-Wesen, Menschen mit Stierköpfen und Tieren mit menschlichen Elementen.

Mit Ton zu arbeiten bleibt selbst für einen Meister wie Matzner ein faszinierendes Experiment. Er arbeitet mit immer anderen Mischungen. Im nassen Zustand ist das Material sehr formbar, durch das Brennen bei sehr hohen Temperaturen wird der Ton hart und zugleich zerbrechlich. Allein den Ton so zu brennen, dass er nicht bricht ist eine Kunst. Umso mehr wenn es sich um „matznersche“ Ideen und Ausmaße handelt. Manche seiner Plastiken bekam er nur knapp in seinen großen Brennofen hinein.

Ton ist ein sehr haltbarer Werkstoff. Das beweisen die Funde der Tontafeln, die um (1260) vor Chr. gefertigt wurden und den Frieden zwischen den Ägyptern unter Ramses II. und den Hethitern besiegelten. Der Künstler bannt Zeitgeschichte auf seine Weise wofür die Tontafeln seiner Serie „Vereinigung“ beispielhaft sind. Diese Tafeln entstanden nach Matern des Tagesspiegels der Jahre 1989/90; diese Matern sollten damals entsorgt werden; Matzner rettete sie gewissermaßen und verewigte sie in Ton. […]
Matzners Werk ist in vielerlei Hinsicht komplex und es steckt voller tiefsinniger Anspielungen: So gibt es zum einen „feste Verbindungen“, die genau so in dem Brennofen des Künstlers feste Form geworden sind, und zum anderen solche, die er für jede Ausstellung neu kombiniert! Dabei fügt er Dinge und Formen, die nicht wirklich zusammengehören zu Gebilden und Säulen wie diese: Bei dem Kopf, den Sie hier sehen, handelt es sich um ein Porträt. Es zeigt den Sohn einer Freundin des Künstlers: Johannes! So wie Matzner den Kopf hier in Szene setzt wird Johannes zur biblischen Gestalt.

Gerald Matzner ist ein Melancholiker, ein subtiler Kritiker unserer Gesellschaft, ein moderner Eulenspiegel: für die Nase von Peter Radunski baute er sogar ein Museum! Dahinter verbirgt sich mehr als ein Aprilscherz… Zur Erinnerung Radunski war verkürzt gesagt in den 90er Jahren Berliner Senator für „Bundes- und Europaangelegenheiten und für Wissenschaft und Kunst“. Der Politiker bat den Künstler damals um einen Abguss seiner Nase und kurz danach war in der Zeitung zu lesen Radunskis Nase von Matzner hinge im Metropolitan in New York, April, April…

Seit rund 25 Jahren formt Matzner Nasen ab! […]

In Berlin kann man dem Erfindungsgeist des Künstlers an mehreren Orten begegnen: wie zum Beispiel im Garten des Auguste-Victoria-Krankenhauses in Schöneberg: Hier befindet sich auch sein „Großer Kofferstapel“ (1981) aus dem ehemaligen Skulpturengarten am Berliner Funkturm. Am Luisenstädtischen Kanal zwischen Oranienplatz und Engelbecken (Richtung Michaelskirchplatz) steht sein „Indischer Brunnen“. Direkt am Richard-Wagner Platz, Ecke Schustherusstraße, im Entrée des modernen grauen Eckgebäudes Nr. 115 erstrecken sich von oben herab drei überdimensionale Hände. Eine davon hält einen Taktstock. Das Ensemble zu dem eine Blätterwand aus Ton gehört war ursprünglich als Brunnen geplant.
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Dirigierende Hände

Hände bedeuten Macht und Herrschaft, in vielen Religionen findet man die Hand als gestaltende Kraft: So formt der ägyptische Ur- und Schöpfergott  Ptah mit seinen Händen auf der Töpferscheibe das Weltall.
Matzners barocke schöpferische Kraft wirkt wie ein Funke, der wiederum unsere eigene Phantasie in Gang setzt… Was steckt dahinter, wenn der Künstler eine Gestalt auf einem Sockel installiert, bei dem es sich bei genauerer Betrachtung um einen ausrangierten Computerbildschirm handelt, der auch noch auf den Kopf gestellt ist? Matzner formt ein Selbstbild und schafft zugleich ein Denkmal.
Denk-mal – der wundersame Kosmos des Gerald Matzner hält uns den Spiegel vor.
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