Reden

Hubertus Brand – Skulpturen
ATRIUM FRIEDRICHSTRAßE Berlin
Eröffnungsrede 1. April 2004.

(...) Die Bildhauerkunst – wie Hubertus Brand sie betreibt, setzt sehr viel handwerkliche Erfahrung, vor allem aber Einfühlungsvermögen und künstlerische Meisterschaft voraus: Das Herzstück – auch dieser Ausstellung – ist für mich der wunderbare Bronze-Kopf, betitelt mit den Initialen „N.O.“: Dieser Kopf ist überlebensgroß und zugleich fragil, er wirkt zerbrechlich weil Brand darauf verzichtet, ihm eine geschlossene Form zu geben. In Georg Büchners Drama „Dantons Tod“ (1835) sagt Julie zu ihrem Gatten: „Du kennst mich, Danton.“ Er antwortet darauf: „Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.-“ (Erster Akt, Erste Szene) Brands Kopf „N.O.“ ist aufgebrochen, er hat keine Schädeldecke, wir können sogar durch eines der beiden Augen hin durchsehen. Ob und was wir sehen bleibt uns überlassen. Die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die leichte Neigung des Kopfes, die trotz seiner Bruchstückhaftigkeit deutlich zu erkennen ist, zeigen ein Gesicht, das eine besondere Würde und Schönheit ausstrahlt. Man glaubt, vor dem Relikt einer Ausgrabungsstätte zu stehen. Es haftet ihm Ewiges an. Diesen Kopf schließlich in Bronze zu gießen, war selbst für die renommierte Berliner Bildgießerei Noack, aufgrund der zerbrechlichen Struktur ein gewagtes Kunststück. (...)

k.o. Bobby Pauline

Mit seiner figurativen Plastik knüpft Hubertus Brand an die berühmte Berliner Bildhauer-Tradition an, in der das plastische Bildnis zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung nahm. Berlin war im 19. und frühen 20. Jahrhundert das Zentrum der deutschen Bildhauerei. Später in den so genannten Goldenen Zwanzigern im Berlin der Weimarer Re­publik porträtierten Bildhauer wie Kurt Edzard, Hermann Haller und Ernesto de Fiori die be­rühmten Köpfe ihrer Zeit, zum Beispiel Marlene Dietrich und Max Schmeling. Alfred Flecht­heim, der damalige Stargalerist, ermunterte alles was Rang und Namen hatte, sich von ‚seinen’ Künstlern porträtieren zu lassen; damit hatte er als Geschäftsmann sehr viel Erfolg und Künstler wie Ernesto de Fiori wurden zu gefragten Porträtisten. Das Repräsentations­bedürfnis der Menschen, das im plastischen Bildnis – aufgrund seiner besonderen Stellver­treterfunktion – seinen überzeugenden Ausdruck fand, tat ihr übriges. (…) Brands Modelle sind ‚Menschen wie du und ich’. Wir stehen ihnen heute Abend von Angesicht zu Angesicht gegenüber: Nina, Pauline, Karin O. und Bobby, allesamt Beton-Plastiken, die scheinbar für einen Augenblick ihren Atem anhalten. Dennoch schafft Hubertus Brand in ihnen nicht einfach nur individuelle Ab-Bilder; seine Modelle dienen ihm vor allem zur Formfindung und zur Erforschung tiefer liegender Wesens-Schichten des Menschen. Diese tieferen Schichten wie Gefühle, Erfahrungen oder Verletzungen arbeitet Brand mit beeindruckender Sensibilität und Intensität aus dem Material heraus. (…)